Zürich - Pressebericht 27.08.2005
copyright St.Galler Tageblatt
Alles beim Alten, oder was?
«Status Quo» in Zürich - 4500 Variationen einer Sound-Idee für den
tausendfach angereisten weltgrössten Fan
Walter Brehm/Zürich
Die Backsteinfassade herausgeputzt, die Halle gekonnt aufgemotzt: Es war
gleichsam die dritte Eröffnung des in der Schweiz grössten Tempels der
Massenkultur zwischen Oerlikon und Schwamendingen. Nach zehntausenden
Harmonie-Suchenden, die hier den Belehrungen des Dalai Lama gelauscht
hatten und der Kinder-Disco mit DJ Bobo, welche die Halle vor einer
Wochen zweimal füllte, nun «Status Quo».
«What Ever You Want»/«Caroline» - nur keine Überraschungen. Francis
Rossi, Rick Parfitt, Rhino Edwards, Andrew Bown und Matt Letley, halten,
was sich die Fans von ihnen versprechen - auch an diesem Abend, wie in
wechselnder Besetzung seit über dreissig Jahren. Mag sein, dass diese
Band die globale Gemeinde des Rock 'n' Roll im Streit über die Reinheit
der Kunst polarisiert wie keine andere. Aber im Hallenstadion ist an
diesem Abend nur der «weltgrösste Fan» der Band anwesend - in
zigtausendfacher Ausführung.
Familienfest
Das schlechte Gewissen . . .
. . . des Kritikasters
Barde der Ernsthaftigkeit
Sie haben ihrem Namen und dem neuen, alten Hallenstadion alle Ehre
gemacht. Am Samstagabend bebte die ausverkaufte Halle mit - und im
Status Quo.
Auch in den späten Fünfzigern des Lebens rifft Rick Parfitt noch wie der
Leibhaftige, und Francis Rossi kann immer noch breitbeinig wie sonst
keiner stehen, hüpfen, toben. Die Band und ihr Publikum: Familienfest
und Geburtstagsparty. 40 Jahre «Status Quo» wird hier gefeiert. Damals
hiessen sie noch «The Spectres» und waren Rock'-n'-Roll-begeisterte
Teenies. Das sind sie heute immer noch irgendwie und machen
Entertainment für ein noch länger Teenager gebliebenes Publikum. «45
Hundred Times» - nur ein Understatement für ein Konzert, das über 90
Minuten nur eine Sound-Idee variiert: Auf der Bühne stehen die Erfinder
und die einzigen wahren Interpreten des Rock'n'Boogie.
Das ganze Set, das sie in der Halle abliefern, sitzt so tief in den
70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dass die Augen tränen, die
Dritten klappern und die Hüfte quietscht. Aber «The Party Aint Over Yet»
- das Fest ist noch lange nicht vorbei, noch hat es Bier im Kühlschrank.
«Status Quo» eben. Und dem Publikum gefällt das - mit Dauer des Konzerts
zunehmend besser: «All Stand Up». Bei Halbzeit wird längst auch auf den
teureren Rängen und sogar in den Vip-Logen gewippt, gestampft und
unermüdlich die Luftgitarre gespielt, der Boogie getanzt. Da überkommt
einem schon ein schlechtes Gewissen, lässt der immer gleiche
Sound-Teppich «Again and Again» Zeit, darüber nachzudenken, dass den
«Quo» in der Halle irgendwie doch der letzte Kick fehlt. Während Francis
Rossi pausenlos über die Bühne hüpft, stellt sich der Frage, ist der
Mann eigentlich noch Leadgitarrist und Sänger oder nur noch Clown. Dabei
spielt er seine Soli nicht nur sauber, sondern gut. Das «Down Down»
akkurat, wie man es aus dem Studio kennt, nicht schlampig wie meistens
auf der Bühne. «Gerdundula» wird gar neu präsentiert. Tastenmann Andrew
Bown hier mit Gitarre dabei, greift Rick Parfitt an den Gitarrenhals und
vice versa. Francis Rossi und Rhino Edwards tun selbiges. - Aber reicht
das für ein gutes Konzert jenseits vom Status quo? Irgendwie spürt man,
über alle Begeisterung der Fans hindurch, auf der Bühne doch die
angezogene Handbremse.
So routiniert und absehbar wie das Spiel von «Status Quo» ist jedoch
seit Jahren auch die Kritik daran. Ja, hier sind keine Rock-Rebellen am
Werk - sie waren es nie. Aber auch bei den «Stones» ist Mick Jaggers
Genöle, es sei Zeit für eine Revolution («It's Time for a Violent
Revolution»), längst Tempi passati. Und eine Klassenkampf-Hymne wie
(Working Class Hero) des Beatles-Feingeistes John Lennon war bei Rossi
und Co. schon immer undenkbar. Es gibt keine Status-Quo-Songs über die
Arbeiterklasse, nur solche zur Unterhaltung selbiger, die von Montag bis
Freitag arbeitet und es eben dann am Wochenende krachen lässt («All
Stand Up»). Und lange bevor die «Stones» sich eingestanden, «It's Only
Rock 'n' Roll But We Like It», haben «Status Quo» statt Sex and Drugs
and Rock 'n' Roll, Party und Bier besungen.
Wo steht denn geschrieben, Rock 'n' Roll sei ein Synonym für
Gesellschaftskritik und Revolte? Aber wer es trotzdem gerne kritischer
hat, der pilgert im November ins Hallenstadion zu Bob Dylan, dem Barden
der Ernsthaftigkeit. Auch dann werden der Tempel der Massenkultur
ausverkauft, die Tickets teuer und der strenge Poet gut bezahlt sein.