Pressebericht Uster 2.7.2004
copyright NZZ (4.7.2004)
(vielen Dank Tino)

von Manfred Pabst
Die Vermutung liegt nahe: wenn Bands die früher einzeln das Züricher Hallenstadion füllten, jetzt im Fünfer-Pack auf dem Stadion des Fussball- und Leichtathletikclubs Uster anstreten, ist es mit ihnen so ziemlich vorbei. „Last Exit Uster“ könnte man hämisch betiteln. Und läge ziemlich falsch damit. Denn erstens treffen sich auf der grünen Wiese zwischen Hallenbad und Autobahn mehr Leute als damals in Oerlikon: um die 15.000 sind es an diesem zuerst sonnigen, dann pflotschnassen, und am Ende wieder versöhnlich trockenen Freitag. Zweitens bestehen die Darbietungen keineswegs nur darin, dass ein paar Senioren aus Not oder Eitelkeit etwas versuchen, dass sie früher einmal konnten, jetzt aber nicht mehr. Und Drittens besteht das Publikum nicht aus der Puurezmorgefraktion des Rock ‚n Roll sondern bildet eine bunte Truppe: Man sieht etwa gleich viele Samichlausbärte wie Zahnspangen. Von der Ledergarnitur bis zur flächendeckenden Tätowierung ist jedes Outfit anzutreffen. Stramme Rocker mit blondierten Bräuten („hinten Lyceum, vorne Museum“, sagte Tante Elisabeth selig) sind aufmarschiert, dazu halbe Schulklassen und Gruppen fröhlicher Lehrlinge die T-Shirts mit Konterfei ihrer Helden tragen. Ein Groseli hat sich ein Band, auf dem mit Filzstift „Status Quo“ geschrieben steht, an den Hut gesteckt. Paare mittleren Alters haben sich in die Jeans von einst gezwängt und turteln ohne Ende. „Weisch no“ sagen ihre verklärten Blicke bei den langsamen Stücken. Athletische Tänzer stärken sich mit Kraftriegeln aus dem Rucksack. Grundnahrungsmittel allerdings ist das in Plastikbechern gereichte Bier. Es erhöht die Aufnahmefähigkeit für das Gebotene und sorgt dafür, das die King-Size-Joints nicht im Hals kratzen. Eine Budenstadt säumt das Gelände, das sich schon am Nachmittag füllt. Die gesetzeren Fans lagern seitlich auf den Betonstufen, die anderen drängt es aufs Spielfeld. Vor der riesigen Bühne wird es schon bald einmal eng. Dennoch bleibt die Stimmung friedlich. Das System reguliert sich weitgehend selber. Die Kleinen dürfen nach vorn, die ganz Kleinen auf die Schultern ihrer Väter. Stoiker mit Schlapphut behalten die zwanghaften Fuchtler im Auge. Wer sich allzu ungebährig aufführt, erhält ein paar freundnachbarschaftliche Rippenstösse. Fisherman’s Friend wird in allseitigem Interesse geteilt.
Der erste grosse Auftritt gehört Manfred Mann’s Earthband und das Quintett um den britischen Softrocker südafrikanischer Herkunft sorgt auch prompt für eine Überraschung. Denn die so üppig wie originell arrangierten Cover-Versionen klassischer Songs von Bob Dylan, Bruce Springsteen & Co. klingen frisch und farbig. Der vom Micky-Maus-Synthesizer Vom Bandleader geprägte, von den Hardrock-Fans der Seventies noch mit kalter Verachtung gestrafte Sound eint nun das Ustermer Publikum: Auch die härtesten Burschen singen „Blinded by the light“ „Davy’s on the road again“ und „Mighty Quinn“ mit und es zeigt sich, das das verzückte Spiel mit der Luftgitarre keine reine Männer-Domäne mehr ist.
Von ganz anderer Art ist der Auftritt der Kölner Band BAP. Sie spielt ziemlich einförmigen, knochigen Stadionrock, doch der Auftritt lebt von drei Dingen: Wolfgang Niedecken ist ein intelligenter, charismatischer Sänger, der seine Lieder immer wieder so gestaltet, dass sie aktuell und dringlich wirken: zudem setzt er nicht nur auf den Wiedererkennungswert sondern auch auf die neuen „Sonx“: und mit Helmut Krummrings hat er einen hervorragenden neuen Gitarristen, der selbstbewusste schlaksige Bursche macht sich virtuos und ohne falschen Respekt über die Backlist der Band her.
Auch die Scorpions kommen aus Deutschland, aber im Gegensatz zu BAP mit ihrem nicht ganz leicht verständlichen Idiom setzen sie auf globalen Rummelplatz-Rock im Most Basic English und verkaufen ihre Platten millionenfach von Amerika bis Asien. Bis an die malaisisch-thailändische Grenze könne man von ihnen verfolgt werden, schrieb Rogel Köppel 1993 in der NZZ: nun kommt also noch die Grenze von Uster und Werrikon dazu. Hier bietet die Band einen Macho-Show, in der alles auf den groben Effekt angelegt ist. Zum brutalen Sound-Gewitter gesellt sich schliesslich ein himmlisches. Wer keine Pelerine hat, flüchtet ins Bierzelt und grölt von dort aus die Wiedervereinigungs-Hymne „Wind of Change“ mit. Es ist kein erhabener Anblick.
Was die Griechen für die EM, das sind Status Quo für Uster. Hand aufs Herz. Wer hätte vom Boogie-Rock dieser munteren Truppe noch Grosses erwartet? Doch es kommt anders: die stilvoll verwitterten Mannen um Francis Rossi servieren ihre Schnipo-Musik mit soviel Drive, Charme und Selbstironie, dass ihr Auftritt zum Höhepunkt des Abends wird.
Einen zwiespätigen Eindruck hinterlassen dagegen Deep Purple. Zwar legen die Urgesteine Roger Glover am Bass und Ian Paice an den Drums einen untadeligen Boden, und der Gitarrist Steve Morse (seit 1996 dabei) spielt sich mit schwindelerregender Leichtigkeit durchs Repertoire. Aber die neuen Songs fallen gegen die Heuler wie „Smoke on the water“ extem ab, der Keyboarder Don Airey ist kein Ersatz für Jon Lord, und Ian Gillan, der grandiose Sänger von einst, ist zu einer kuriosen Figur geworden. Er trifft die hohen Töne nicht mehr, phrasiert pomadig und praktiziert, erst im Glitzerhemd, später in einer Art Judo-Anzug, eine Art Altherren-Eurythmie, die schon nicht mehr ganz von dieser Welt ist.
Unterm Strich steht gleichwohl der Befund: Der Rock ‚n Roll lebt, die Premiere des Festivals „Spirit of Music“ ist gelungen, man kann sich auf den 2.Tag heute am 4.7. mit Blondie, Lenny Kravitz (ab 14 Uhr) freuen. Und neuen Stunden Live-Sound sind geanu die Dosis, die einen so stärkt und erfrischt, dass man „I like it, I like it, I la-la-la-like it“ - wieder begeistert zur Schule oder Arbeit geht.